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Stefan Wiesner – ein Pionier

Stefan Wiesner – ein Pionier

 

Stefan Wiesner – ein Pionier

Als ich zum ersten Mal vom «Hexer» hörte, war ich fasziniert. Ich wollte Ihn unbedingt treffen und der Frage nachgehen, was dieser spezielle Entlebucher vom Rössli in Escholzmatt, welches seit 33 Jahren in seinem Besitz ist – vorher bei seinen Eltern – antreibt und zu solch hoher Kochkunst bewegt.

Da Stefan Wiesner das Lehrlingsprojekt Wemotion von Marcel Blättler und Partnern unterstützt, hat er sich nach einem anstrengenden Drehtag mit den Jungen für ein Gespräch Zeit genommen. Und so stand ich in seinem Garten inmitten von ca. 60 Wildkräutern, Feuerringen und einem Tisch voll mit fröhlichen Gästen, die einen Kräuterkurs besuchten.

Er spricht nicht laut, doch mit einer klaren und herzlichen Stimme. Nicht mit viel Blingbling um seine Person, doch unglaublich geerdet und herzlich tritt er mir entgegen. Wenn man mit Stefan Wiesner, alias «Hexer», zu sprechen beginnt, spürt man seine grosse Demut der Natur und auch seinen Mitmenschen gegenüber. Kreativität entsteht ganz tief im Innern. Kreativität kommt von Innen. Und Kochen ist Kreativität auf der Basis eines Handwerks. So würde ich ihn und sein Wirken kurz umschreiben. Stefan, der von sich selbst sagt, er trage die Kunst in sich, ist Kunst in sich selbst. Doch nicht nur in einem Bereich. Stefan ist viel mehr als nur Kochen und viel mehr als nur Kunst oder Gastgeber. Was er tut, hat einen Kreislauf, es muss ganzheitlich sein.
Es bringe nichts, wenn man wisse, wie eine Grundzubereitung funktioniert, doch den Mut nicht hat, diese weiterzuentwickeln. Jegliches Kochhandwerk bringt wenig, wenn man seine Zutaten nicht kenne. Kochen ist viel mehr. Stefan Wiesner verbindet Alchemie, Spagyrik, Anthroposophie, Spiritualität, Schamanismus und Philosophie. Er verwendet ausschliesslich regionale Produkte, und nicht einfach die gewöhnlichen. Er greift auch zu ungewöhnlichen Kräutern oder gar Produkten. So kocht er z.B. aus Baumrinden oder kreiert Menüs aus Stein.
Wenn er kocht, dann ist es Kunst. Wenn er spricht, dann ist es Kunst, wenn er gestaltet, dann ist es Kunst. Wenn man mit Stefan spricht und seine Geschichten rund ums Kochen anhört, dann beginnen die Töne in seinem Kopf auf die Besucher rüberzuschwappen und so entsteht beim Zuhörer eine unglaubliche Lust aufs Essen und Kochen. Die Bilder im Kopf regen den Speichel im Mund an und die Lust auf Essen wird geweckt.

Der Hexer, getrieben von seiner Kunst in sich, braucht jedoch zwischendurch auch mal einen Burger aus dem McDonald. Er steht dazu, dass er nicht perfekt ist und die Weisheit auch nicht nur mit dem Löffel isst. Und genau dies ist es, was ihn menschlich sein lässt, auch wenn man spürt, dass diese Balance seine grösste Herausforderung im Leben ist. Doch diese Balance und Abwechslung sind es vielleicht auch, die ihn dorthin gebracht haben, wo er heute steht.

FB: Du sagst, dass die Gastronomie verloren hat

SW: Ja, wir sind einer der grösste Arbeitgeber, doch ca. 20 Jahre hinterher. Wir haben nicht mal das Molekulare anerkannt. In der gehobenen Gastronomie ab 13 Gault Millau kommt dies eigentlich einfach zum Zuge. Doch diese hat sich vor 10 Jahre wieder verabschiedet. Es wird immer noch nicht offiziell unterrichtet. Wenn junge Leute ihren Weg nicht weiter gehen können, dann geht es nicht in die Zukunft und es kann keine Veränderung und Weiterentwicklung stattfinden. Wer nicht mit der Zeit geht, bleibt stehen. Das gleiche mit den Preisen, diese haben stagniert.

FB: Was meinst Du mit stagniert?

SW: Jeder Handwerker verdient mindestens 100.- in der Stunde. Als Gastronom ist man weit davon entfernt. Die Preise sind überall gestiegen, doch das Mittagsmenu soll immer noch 20.-, der Kaffee 3.50 kosten. Diese Rechnung geht in den meisten Fällen gar nicht mehr auf.

FB: Ist dies nicht auch ein Auswuchs der Gesellschaft?

SW: Heute ist alles schnell. Ja die Zeit hat sich verändert. Mittagessen hat keine Bedeutung mehr. Das schöne Essen verlegt sich auf den Abend. Und dort wird sich Weizen und Spreu trennen. Es wird das «Normale» geben, wo der Gast sich verpflegen möchte. Da ist der Gastronom mehr Dienstleister. Und dann gibt es diejenigen, die das Spezielle und das Erlebnis suchen.

FB: Wie wird denn die Zukunft aussehen?

SW: Es wird die Gäste geben, die Lust nach Cordon Bleu oder Wurstsalat haben. Diese Gäste wollen überall in der Schweiz etwa das gleiche Essen. Somit wird der Wirt zum Dienstleister. Dann gibt es die Gäste, die etwas Spezielles suchen und dafür auch weitere Wege in Kauf nehmen und auch bereit sind, mehr zu bezahlen. Diese Gastronomen spezialisieren sich komplett, haben eine spezielle Philosophie.

FB: Wo sind denn die Herausforderungen im Gastgewerbe?

SW: Dass wir teurer werden müssen und es trotzdem verkaufen können. Die Löhne und die Arbeitszeiten müssen angepasst werden. Viertagewoche hat sicher eine Zukunft. Ein zunehmendes und grosses Problem ist, dass die Schweizer am Sonntag nicht mehr arbeiten möchten.

FB: Du hast gestern mit jungen, angehenden Köchen gearbeitet. Ist denn die heutige Kochausbildung noch zeitgemäss?

SW: Ich denke, heute müsste ein Koch die Grundzubereitungen kennen und dann muss er in der Lehre den Mut haben, diese abzuändern resp. lernen, wie kombiniert wird. Zudem wäre es sehr wichtig, den Schwerpunkt mehr auf die Produktekenntnisse zu legen als auf sture Rezepturen. Jeder Koch sollte 60 Kräuter, 20 Pilze und 20 Bäume, Hölzer kennen. Mit diesen Produkten kann er zu spielen beginnen. Der Koch sollte kreativ viel mehr schon zu Beginn gefördert werden. Berufsbilder verändern sich, auch der Kochberuf verändert sich stetig. Ich beobachte jedoch, dass die heutigen jungen Köche sich nicht getrauen, etwas auszuprobieren. Und bis sie sich dann nach einer Lehre von den Strukturen gelöst haben, dauert es lange und das braucht wahnsinnig Kraft und Einsatz. Somit denke ich nicht, dass es wirklich zeitgemäss ist. Man müsste den Beruf viel ganzheitlicher unterrichten.

FB: Ich beobachte, dass die heutige Jugend gar nicht mehr mit Rezepten kochen möchte. Sie sehen auf Tiktok ein Menu und kochen es nach.

SW: Dieses rezeptfreie Kochen wird die Zukunft sein. Klar braucht es hie und da ein Rezept. Doch heute ist man viel freier und experimentierfreudiger als früher. Und genau das wollen die Jungen, aber auch die Gäste.

FB: Du hast keine Lernenden mehr bei dir?

SW: Nein, bei mir kann man jedoch ein Internship absolvieren. Auch Quereinsteiger. Während 3 Monaten werden sie in die Kochkunst eingeführt und lernen meine Philosophie kennen. Die ist jedoch wie eine Weiterbildung. Sie erhalten Kost und Logis, dürfen in meine Kurse, doch sie müssen mitarbeiten und werden an verschiedenen Orten eingesetzt. Dafür bezahlen sie hier im Rössli für 3 Monate 1000 Franken, Ich bin sehr glücklich darüber.

FB: Du unterrichtest auch selbst noch?

SW: Ja genau, an der FH für Kunst in Basel unterrichte ich Kochen in der ästhetischen Praxis als Kunstform. Ich bin der Einzige in Europa, der dies so weitergibt.

FB: Was bedeutet das? Kann man diese Kunst essen?

SW: Ja, sie müssen ihre Kunst essen aus Respekt gegenüber der Natur. Es sollen die Berührungspunkte zwischen Essen, Kochen, Nachhaltigkeit und Kunst aufgezeigt werden.

FB: Was ist denn für dich ein Koch?

SW: Ein Koch ist ein Vorbild, jemand, der Menschen verwöhnt und mit verschiedenen Geschmäckern auf eine Reise mitnimmt und damit Ihre Seele berührt. Ein Koch ist unglaublich viel. Darum hat ein Koch auch so viel Macht mit seinem Wirken. Er kann z.B. jemanden mit seinem Essen aufwecken, schläfrig machen, er kann anregen, er kann jemanden gesund machen oder eben krank bis hin zum Töten. Kochen verbindet, es ist eine Weltsprache. Man versteht sich mit Kochen, ohne dass man die gleiche Sprache spricht.

FB: Das sagst du auch dem Nachwuchs?

SW: Ja und dazu kommt etwas ganz Wichtiges heute für die junge Generation. Das Ansehen. Ein Koch hat schnell ein Ansehen. Er ist schnell eine Persönlichkeit und hat Zugang zu den Medien usw., schneller als ein Musiker. Das ist es ja, worauf die Jungen heutzutage speziell abfahren. Man tut heute viel für Ruhm und Ehre. Ich bin manchmal erstaunt. Da ist der Lohn dann auch zweitrangig, wenn man Ruhm mit seinem Schaffen erhalten kann. Der Sinn ist sehr wichtig.

FB: Macht dich diese Entwicklung auch nachdenklich?

SW: Ja, ein Stück weit, weil wir ja auch Gastgeber brauchen, die ein Rössli oder eine Krone weiterführen. Die bereit sind etwas zu geben und nicht nur zu nehmen.

FB: Was stört dich an der heutigen Gastronomie am meisten?

SW: Das recht sein – man wird doch so oft gefragt: «war es recht?». Was heisst «recht sein»? Die Gesellschaft erwartet von uns Gastronomen viel als selbstverständlich und dass es gratis ist. Wenn man für Wasser bezahlen muss, gibt es vielerorts einen Aufstand. Doch es braucht eine Karaffe, sie wird an den Tisch gebracht und wir bezahlen ja auch für Hahnenwasser. Darum kann ich nicht verstehen, warum es nicht auch etwas kosten darf. Aber eben, es muss recht sein…

FB: Was ist für dich das grösste Gut oder Reichtum im Leben?

SW: Es ist die Natur. Ich bedanke mich immer auch sehr bewusst bei der Natur. Aber es ist vor allem auch die Zeit. Der Stress ist heutzutage gross und niemand hat mehr Zeit. Doch es ist ein grosses Glück, Zeit zu haben. Zeit und die Liebe.

FB: Geld?

SW: Och Geld. Ich habe genügend zum Leben. Ich bin kein steinreicher Mann geworden. Doch Geld ist unwichtig, Zeit und Zufriedenheit sind, was zählt.

FB: Was hat dich geprägt?  

SW: Das Leben. Oh viel – ich hatte keinen einfachen Weg. Dies würde Bücher füllen. Die Realität hat mich ein paar Mal ziemlich fest auf den Boden geholt. Darum meine ich auch, bin ich so sehr geerdet und mit dem Boden und der Natur verbunden. Mein Weg hat mich auf eine Art demütig gemacht. Aber leider habe ich vielleicht auch manchmal einfach zu viel gearbeitet und zu wenig genossen.

FB: Und was treibt dich im Leben an?

SW: Die Kunst in mir. Und natürlich hat mich das Überleben angetrieben. Doch die Kunst ist schon in mir.

 

Wenn man mit Stefan über die Kunst spricht, spürt man seine Melancholie. Doch ich spüre bei jedem Satz, dass seine Worte wirklich gelebt sind und tief aus seinem Inneren kommen. Er erwähnt auch, dass er eigentlich einer der Bodenständigsten sei in der Region, doch trotzdem oft als Exot angeschaut wird. Und natürlich erstaunt es nicht, dass für ihn nicht nur das Kochen für das Gästeerlebnis eine Rolle spielt.

FB: Spielt bei dir denn nur das, was auf dem Teller ist, eine Rolle und alles andere ist «Beilage»?

SW; Bei mir gibt es ja keine Teller mehr (schmunzelt). Aber nein, ganz wichtig ist das Storytelling um das Gericht. Dies weckt unsere Emotionen. Mich erstaunt, wie emotionslos heutzutage Speisekarten geschrieben sind.

Kürbissuppe – 10

Nicht mal mehr «Franken» steht dabei. Sie sind oft lieblos. Doch zum Esserlebnis gehört auch, dass der Speichel im Munde zusammenläuft und dies geschieht, wenn man sich Essen vorstellt oder daran denkt. So viele Geschichten lassen sich mit dem Essen verbinden.

FB: Zuletzt doch auch noch eine Frage zum Service? Wie wichtig ist der Service?

SW: Sehr wichtig und er ist ja auch Teil des Gastroerlebnisses. Doch vielleicht nicht mehr so, wie wir dies ausbilden. Im Service zählt hauptsächlich die Herzlichkeit! Den Gästen ist egal, ob von links oder rechts serviert wird, doch sie wollen Herzlichkeit! Und natürlich Wissen über die Produkte. Doch dies muss man heutzutage auch Ausgelernten beibringen. Darum sind mir Persönlichkeit und Feingefühl wichtiger als Fachwissen.

 

 

Und damit beenden wir unser Gespräch. Mit den Tönen und Akkorden lässt er ganze Menus schreiben. Doch viel mehr, er inszeniert Musikstücke oder verkocht literarische Meisterwerke wie z.B. die nächsten Wochen «das Parfum» von Patrick Süsskind. Da es zu meinen Lieblingsbüchern gehört, strahlen meine Augen umso mehr. Doch wenn dann Stefan Wiesner seine Komposition erzählt, nimmt er einen auf seine eigene Kochreise mit und er hat mich mit seiner Menüreise vom ersten Moment an in eine andere Welt geführt. Man badet bei seinen Erzählungen richtig in seiner Kunst. Ein Koch, ein Familienvater, ein Lehrmeister, ein Ehemann, ein Lehrer, ein Philosoph, ein Alchemist, ein Schamane und noch viel mehr. Er ist vieles in einer Person. Sein Leben ist eine Bereicherung für nächste Generationen. Und genau dies möchte er in seinem jüngsten Projekt, welches er in einem Hotel, mit Gourmet und traditionellem Restaurant auf dem Heiligkreuz am Entwickeln ist, verbinden. Ausser Milch soll alles selbst produziert und angepflanzt werden. Eröffnet wird sein Lebensprojekt nächstes Jahr. Er möchte damit jungen Leuten etwas weitergeben. Er möchte etwas für die Zukunft bauen und sein Wissen weitergeben. Dies sieht er als seine Lebensaufgabe. Und als ich fragte, was er einem jungen Menschen raten würde, sagte er: «Man muss Verantwortung übernehmen, doch auch Verantwortung abgeben und damit Vertrauen schenken. Man muss Fehler machen, damit man weiterkommt. Doch das wichtigste ist, sich selbst und den anderen immer wieder zu verzeihen. Und noch viel wichtiger, das Leben hier und jetzt leben. Die Zukunft darf nicht zu abgeklärt sein, das blockiert die Kreativität.»

Und meine Frage, was ihn antreibt, ist auch beantwortet. Nämlich das Leben selbst, die Liebe und die Natur. Und somit würde ich behaupten: Er ist nicht einfach Hexer, nein er ist ein grosser Pionier, der der Zeit voraus ist und mit seiner Kunst Menschen verzaubert!

Christoph Eichenberger: ein Anreisser, ein Umsetzer, einer der das Leben lebt

Christoph Eichenberger: ein Anreisser, ein Umsetzer, einer der das Leben lebt

 

„Ich vergleiche einen Saisonbetrieb mit einem Flintstone-Flugzeug“

Zum ersten Mal bin ich Christoph Eichenberger vor 17 Jahren begegnet. Gemeinsam haben wir die Hotelfachschule absolviert. Ich schwanger mit meiner Tochter. Er schwanger mit der Gastronomie.
Er verkörperte dazumal schon den «Lebemensch». Der Lebemensch, der aber genau wusste, was er wollte. Dies aber schon dazumal immer mit einer gewissen Leichtigkeit und Humor. Irgendwie erstaunt es mich daher auch nicht, dass er das Seeland verliess und jetzt dort arbeitet, wo andere Ferien machen. Im künstlerreichen Ascona oder wie er so schön sagt: in der Gegend Locarnese. Mit seiner Frau Gina hat er im Jahre 2009 das Restaurant, welches er natürlich nach seiner Frau benannte, «da Gina» eröffnet. Sein Restaurant wollte er personalisieren. Und genau das macht Christoph aus. Er ist persönlich. So nennt er zum Beispiel auch viele seiner Stammgäste «Freunde». Freunde, die ihm ehrliche Feedbacks geben und an denen er sich auch orientiert. Und wenn man von der Hauptstrasse, ein paar Meter abseits der Piazza, in Richtung da Gina läuft, von weitem die schöne Traubenpergola mit den Olivenbäumen sieht und davor meistens einige Leute, die warten, bis sie einem Platz zugewiesen werden, merkt man schon, dass es im da Gina lebt. Beim Eintreten steht dort Christoph hinter dem «Smoker», konzentriert bei der Arbeit. Aber seine leichte und freundliche Art des Zuwinkens lässt einen in ein Erlebnis eintauchen. In das Erlebnis «da Gina». Und natürlich – wie er stets zu erwähnen pflegt – die Seele des Betriebes ist Gina, seine grosse Liebe, sein Leben.

FB: Es ist Herbst, bist du froh?

CHE: Ja, ich bin nicht unglücklich, mal wieder einen freien Tag zu haben. Es waren keine 2 diese Saison. Aber wir sind glücklich, dass wir so gut arbeiten durften.

FB: Wir gehen etwas zurück auf Deinem Lebensweg. Wie bist du zur Gastronomie gekommen?

CHE: Gelernt habe ich zuerst Elektroniker. Doch schnell merkte ich, dass das nicht das ist, was mich zufrieden macht. Der Sinn fehlte mir. Darum habe ich angefangen, Events zu organisieren. Mit Royal Arrangement habe ich erste Hip Hop Open Air im Seeland organisiert. Heute ist es das Royal Arena Hip Hop Open Air. Musik hat mir aber nicht so sehr zugesagt, wie meinen Kollegen. Darum habe ich mich um die Gastro gekümmert. Und so hat meine Gastro- und Eventkarriere begonnen.

Mir war es wichtig, etwas zu gestalten, dass Menschen ein Erlebnis haben. Darum habe ich dann nach meiner Lehre an Bars und in Clubs gejobbt. Eines Nachts auf der Heimreise dachte ich, das kann es nicht fürs ganze Leben sein. Jede Nacht arbeiten und wenig verdienen. Und so habe ich mich entschieden, an die Hotelfachschule zu gehen. Doch auch da stellte ich schnell fest, dass die Hotellerie nicht meins ist, es war mir zu «stier». Darum habe ich auch meine Praktika bei Individualisten gemacht. Und es wurde mir schnell klar; ich möchte in der Gastronomie arbeiten und Erlebnisse schaffen.

„Gastronomie ist Raum schaffen, wo man sich wohl fühlt. Eine Art Gesamtsequenz erschaffen für den Gast“ Christoph Eichenberger

 

FB: Was hat dich denn so an der Gastronomie fasziniert?

CHE: Die Gastronomie schafft einen Ort, wo man gerne hingeht, wo man etwas erlebt, was man zuhause nicht erleben kann, wo man sich wohl fühlt und immer gerne wieder zurückgeht. Eine Art Oase. Es ist nicht mal so wichtig, was es ist, es soll einfach ein Erlebnis sein, welches anders ist als zuhause.

FB: Und kurz gesagt?

CHE: Gastronomie ist Raum schaffen, wo man sich wohl fühlt. Eine Art Gesamtsequenz erschaffen für den Gast.

Bei diesen Worten spürt man seine Faszination für die Gastfreundschaft und dem Gast etwas bieten zu wollen. Christoph hat mir dann anvertraut, dass er eigentlich viel lieber aufbaut und abbaut als den Moment des Geschehens zu erleben. Früher, bei den Events, war ihm die Organisation und das Denken an Details und kleine Sachen wichtiger als der eigentliche Event selbst. Sein Augenmerk liegt eigentlich auf den Dingen, die der Gast nicht direkt sehen kann. Ebenso fasziniert ihn halt die tägliche Veränderung: «Ein Event ist nie gleich, man beginnt immer bei «null» und weiss am Anfang nicht, wo es endet».

FB: Aber das hast du ja im «da Gina» nicht mehr so? Da ist doch immer alles gleich?

CHE: Nein, das stimmt eben nicht. Genau darauf kommt es an, dass man in einem stetigen Betrieb erfolgreich ist. Es braucht immer wieder das Neue, das Feilen an den Details, insbesondere an den Dingen, die der Gast auf den ersten Blick nicht mitbekommt. Ein Betrieb, der nichts verändert, hat verloren. Und dann sind wir ja ein Saisonbetrieb. Da beginnen wir jeden Frühling wieder von Neuem.

FB: Was ist da denn so das Spezielle an einem Saisonbetrieb?

CHE: Ich vergleiche einen Saisonbetrieb mit einem Flintstone-Flugzeug:
Eine gute Saison beginnt damit, dass alle genügend Schub und alle das gleiche Ziel vor Augen haben und man gemeinsam mit dem Schub abheben kann. Dazu braucht es zu Beginn einiges an Energie. Wenn man mal abgehoben hat und das Flugzeug dann fliegt, braucht es den Flow, das Zulassen und fliegen lassen. Man ändert vielleicht zwischendurch mal leicht die Richtung, aber eben, man steuert nur noch. Und dann erst im Oktober peilt man die Landung an. Die Flughöhe ist entscheidend, wie gut der Flow ist. Tief und schnell ist ebenso ungünstig wie ein zu hoher Flug. Die Balance könnte man mit der perfekten Flughöhe vergleichen.

FB: Und was ist beim Landen wichtig?

CHE: Zuerst mal, dass man nicht zu schnell und steil und abrupt landen muss. Und danach ist es wichtig, dass man fair bleibt. Dass man ehrlich ist. Dass man den Flug würdigt – Wertschätzung an den Mitarbeitern. Und ganz wichtig ist, dass man auch jene wertschätzt, mit denen man es vielleicht nicht immer nur gut hatte. Früher waren wir froh, dass man neue Leute suchen konnte und man gewisse vielleicht wieder los war – man dachte, es sei eine Befreiung und nächstes Jahr wird alles besser.  Doch so ist es eben nicht. Wenn man ehrlich ist, ist es nicht so, dass man mit dem Mitarbeiter nicht zufrieden war, vielmehr sind wir mit uns selbst nicht zufrieden oder haben die Ansprüche und Ziele falsch gesetzt oder eben das Team falsch zusammengestellt. Und daher ist es auch keine Befreiung oder das Ziel, diese Mitarbeiter schnellstmöglich loszuwerden. Die Wertschätzung für jeden ist unglaublich wichtig und bringt uns für die nächste Saison weiter und lässt uns reflektieren. Und dies bringt uns vorwärts. In der Gastronomie kommt diese Wertschätzung oft etwas zu kurz, auch an sich selbst.

FB: Du hast jetzt von der guten Saison gesprochen. Gibt es auch schlechte Saisons, in denen das Flugzeug nicht richtig zum Fliegen kommt?

CHE: Oh ja, das sind die mühsamen Saisons. Wenn das Flugzeug nicht richtig zum Fliegen kommt. Man hat es lange anzutreiben und daher ist man zu langsam oder erreicht nicht mehr die ideale Flughöhe. Man hat auch einen Teil der Besatzung unterwegs verloren. Die ganze Saison hat man Feuerwehrübungen und dann oft auch eine harzige Landung. Da ist man froh, wenn man das Flugzeug in den Hangar stellen kann.

FB: Wenn das Flugzeug gelandet ist, ist hier bei euch Winter. Wie wichtig ist für dich diese «Low Season»?

CHE: Sehr wichtig. Es ist die Zeit, in der das Flugzeug im Hangar steht und es gewartet und geputzt werden muss. Es ist auch die Zeit, in der man das Flugzeug von aussen wieder einmal betrachten und entscheiden kann, was vielleicht repariert und verändert werden muss.Zudem kann ich und meine Familie dann wieder Energie tanken. Ab Oktober haben wir «Wirtesonntag». Ich kann mal auf eine Klettertour, Zeit mit den Kindern verbringen und somit auch wieder Inspiration holen.

FB: Was fasziniert dich denn besonders am Saisonbetrieb?

Es ist die Spannung, die aufgebaut wird. Einerseits jede neue Saison und auch jeden Tag während der Hochsaison bauen wir diese Spannung sogar mehrmals am Tag auf. Es ist eine Wechselwirkung und eine Kunst, die richtige Intensität aufzubauen, aber eben auch wieder abzubauen.

FB: Corona hat uns die letzten 1.5 Jahre begleitet. Was hat es bei euch verändert? Was bedeutet für dich Corona?

Es ist fies, mit mir oder mit uns hier in Ascona über Corona zu sprechen. Wir haben profitiert von der Krise. Doch die Krise hat schon einiges verändert. Die Herausforderung, ein Restaurant zu führen und die Verantwortung dem Mitarbeiter gegenüber sind anders geworden. Man musste dem Mitarbeiter zeigen und das Vertrauen geben, dass man für ihn da ist und ihn nicht hängen lässt. Dieses Bewusstsein hat in der Gastronomie viele zum Umdenken gebracht. Es wurde komplexer, einen Gastronomiebetrieb zu führen, vor allem auch auf der emotionalen Seite. Und der Gastronom muss spätestens jetzt Unternehmer sein!

FB: Hat es eine Bereinigung in der Branche gegeben?

CHE: Nein ich glaube nicht wirklich. Wahrscheinlich hat es die Bereinigung schon vor der Krise gegeben. Der grosse Wandel hat schon vorher stattgefunden. Vielleicht gibt es später nochmals eine Bereinigung, doch momentan ist es in meinen Augen nicht so.

FB: Wie positioniert man einen Betrieb für die Zukunft?

CHE: Indem ich immer wieder Schritte zurück gehe und die Dinge aus anderen Positionen von aussen anschaue. Und dies muss sehr bewusst getan werden.

Als ich ihn auf sich selbst angesprochen habe, was er für ein Mensch ist, kommt nochmals eine ganz andere Seite von Christoph zum Vorschein. Er betitelt sich selbst zwar als Egoisten, aber als einen, der gerne teilt. Er brauche zwischendurch den Rückzug. Doch im privaten Kreis gebe er auch gerne mal die Führung ab und lasse sich treiben. Und vielleicht führt ihn genau dies immer wieder dazu, Neues zu Erschaffen und die Kraft zu haben, durchzuhalten. Und auch wenn Christoph seine private Seite nicht sehr zeigt oder im Berufsalltag einsetzt, behaupte ich, es ist wahrscheinlich genau diese Seite, die ihn ausmacht und der Gast in der Feinheit schlussendlich doch zu spüren bekommt. Wie er schon gesagt hat, es sind die Details, die wichtig sind. Und so spüre ich, dass genau der private Christoph das Detail ist, welches wichtig für das Gesamte ist. Irgendwie spürt man in jedem Satz eine Art Demut und Respekt gegenüber dem Leben. Sei es dem Produkt, dem Gast, seinen Mitarbeitern oder natürlich seiner Frau und seinen Kindern gegenüber. So dann auch seine Antwort auf meine Frage zum Thema Fachkräftemangel in der Gastronomie.

„Jeder, der keine Lernenden ausbildet, darf sich nicht über den Fachkräftemangel beklagen“ Christoph Eichenberger

 

FB: Alle Gastronomen sprechen von Fachkräftemangel, wie geht es dir dabei oder was ist die Lösung?

CHE: (Sehr bestimmt): Dann müssen wir halt wieder Nachwuchs ausbilden. Jeder, der keine Lernenden ausbildet, darf sich nicht über den Fachkräftemangel beklagen. Die Gastronomen sind auch etwas faul geworden und man macht es sich manchmal auch einfach und damit macht sich die Branche selbst kaputt. Die Gastonomen können sich nicht über Fachkräftemangel beklagen und selbst keinen Nachwuchs ausbilden, weil es zu teuer, zu anstrengend oder sonst irgendwie komplizierter ist. Dort müssen wir ansetzen.

FB: Ja, aber oft sind die Berufe nicht mehr attraktiv wegen der Zimmerstunde, den Arbeitszeiten, dem Image usw.

CHE: Zimmerstunde ist cool. Man muss es nur auch wieder so vorleben. Wir sind Vorbilder für unseren Nachwuchs. Wenn wir schon sagen, es ist doof oder immer reklamieren, dass wir zu viel arbeiten, wie sollen wir denn unsere Jungen noch dafür begeistern?

FB: Würdest Du dich als Macher bezeichnen?

CHE: Nein, Ich bin ein Anreisser. Die Konstante schaffe ich nur mit meinem Team. Ohne mein Team wäre ich nicht dort, wo ich bin.

FB: Dann ist das Team deine Konstante?

CHE: Nein, das sind schon wir mit unserem Anspruch an unser Team.

FB: Was ist euer Anspruch?

CHE: Ein Gast soll mit einem Lachen das «da Gina» verlassen.

FB: Du hast die Philosophie, das ganze Tier zu verkaufen?

CHE: Ja – bei mir gibt es kein Filet. Ich möchte zeigen, dass ein Tier viel mehr als Entrecôte und Filet zu bieten hat. Dies ist auch ein Ansporn für den Service. Die nicht so edlen Stücke zu verkaufen kann eine Herausforderung sein. Doch diese Stücke können unglaublich vielfältig genutzt werden und bereiten Freude.

FB: Was treibt Dich täglich bei der Arbeit an?

CHE: Die Intensität. Die Spannung aufbauen, ein Ziel setzen, den Gast zufrieden stellen, dass er mit einem Lachen unser Restaurant verlässt und vor allem, dass er wieder kommt.

FB: Was ist für dich Restauration?

CHE: Die Interaktion zwischen uns und dem Gast. Der Gast muss spüren, wer wir sind und was wir lieben. Wenn man nur mit einer Karte an den Tisch geht und dann den Teller an den Tisch trägt, ist man eher eine Kantine. Aber wir sind ein Restaurant und ein Restaurant braucht Interaktion. Das ist Gastfreundschaft.

FB: Was ist das Herz vom Da Gina?

CHE: (Er lacht) Gina. Nein, uns ist Menschlichkeit wichtig – in allen Bereichen. Wir möchten zeigen, dass wir Respekt haben innerhalb des Teams, aber eben auch Respekt vor dem Gast und unseren Produkten. Dies ist Menschlichkeit und die geben wir weiter.

FB: Wie wichtig ist für dich die Spitzengastronomie?

CHE: Nicht mehr so wichtig. Ich glaube, es hat sich wieder etwas verändert. Früher hatte man das Gefühl, ein «Brombeeri» müsse man in verschiedene Variationen auf den Tisch bringen, dass es cool ist, am besten noch als Wolke. Heute merkt man wieder vermehrt, dass die Brombeere eigentlich schon perfekt ist, so wie sie ist und es auch eine Kunst sein kann, es einfach so in seiner Perfektion zu lassen und das Gute in der Einfachheit liegt.

FB: Wo siehst du Deine Schwachstellen?

CHE: Kritik nervt mich. Ich habe nicht gerne Kritik, auch wenn ich weiss, dass ich sie brauche.

Und so kommen wir langsam zum Ende unseres Gespräches. Christoph, bei dem man das Gefühl hat, dass er jeden Menschen so nimmt, wie er ist. Doch von sich selbst sagt, er könne auch wirklich mühsam sein. Er sieht sein Restaurant auf der einen Seite als Flugzeug und auf der anderen Seite als Zirkusmanege. Er startet jeden Mittag und Abend seine Zirkusmaschine und beginnt mit der Show. Da ist jeder Gast gleich. Stammgäste werden zu Freunden, weil er sich für den Menschen interessiert. Er möchte jedem ein Erlebnis bieten. Und wenn dies vielleicht sehr leicht klingt, so wie Christoph eben im Grund auch ist, sind wir wieder beim tiefen Respekt für den Menschen und seine tägliche Arbeit. Diese Arbeit, die für ihn das Leben bedeutet. Seinen Anspruch, in dem, was er tut, der Beste zu sein, bekommt man nicht in einer verbissenen Art zu spüren. Er drängt es einem auch nicht auf. Doch wer einmal im «da Gina» war, wird es nicht vergessen und möchte selbstverständlich wieder kommen. Vielleicht wegen der Pizza, wegen dem «Surf’n’Turf, wegen dem Hauswein, dem Limoncello oder der schönen Pergola. Aber vielleicht einfach auch, weil das Zusammenspiel von allem perfekt wie bei einer Zirkusvorführung passend ist und Christoph und Gina in der Manege die Seele des Betriebes sind, und dies jeden Tag.

Wenn man mit René Schudel übers Kochen spricht, möchte man nur noch eines, nämlich kochen!

Wenn man mit René Schudel übers Kochen spricht, möchte man nur noch eines, nämlich kochen!

Bei meinem ersten Treffen mit René Schudel wusste ich: Er ist einer, der bewegt, der tut, der macht und vor allem nicht nur davon spricht, sondern es wirklich tut. Zudem weiss man nach kurzer Zeit, dass dieser Berner Oberländer seinen Beruf liebt. Er ist Koch. Und nach ein paar Minuten spürt man: Das Kochen ist René Schudel.

Im Hotel Victoria Jungfrau begann seine Karriere. Wenn er dies erzählt liegt eine gewisse Demut in seiner Stimme. Doch schnell weiss man, es geht René nicht um das 5-Sterne Hotel, sondern um das, was er dort lernte – sein Handwerk. Und genau dieses Handwerk faszinierte ihn auch so sehr. Es braucht ein Messer, Feuer, Nahrungsmittel und Wissen. Keine Computer, keine Digitalisierung, kein „Schickimicki“. Kochen ist archaisch. Er verkörpert die Leidenschaft für einen Beruf, der wie er sagt, berührt.

 

Und wenn man mit ihm übers Kochen spricht, dann möchte man nichts anderes als Kochen.

Und genau dies ist sein Erfolgsrezept. Er strebte nie nach der grossen Welt. Er schaffte sich die grosse Welt jeden Tag neu und wollte seine Berufung leben. Und heute gibt er diese im Fernsehen mit seinen Kochsendungen „Schudel’s Food Stories“  auf  Pro7 und Sat1 an tausende Menschen weiter. Doch noch viel wichtiger: Er entfacht nicht nur Feuer, um damit zu kochen, er entfacht das Feuer bei vielen jungen Menschen, die den Beruf lernen möchten.
Die Jugend liegt ihm am Herzen. Darum startete er auch sein Projekt am Greenfield vor 6 Jahren. Dort kocht er für die Festivalbesucher mit angehenden Jungköchinnen und Jungköchen.

Ganz nach dem Motto „Raus aus der Komfortzone“ kocht er 5 Tage mit jungen Menschen über Feuer in Zelten. Die Lernenden müssen kreativ werden, Lösungen suchen, die oft gar nicht denkbar sind in dem geschützten Umfeld einer normalen Indoor-Küche.

Damit gewann er im Jahre 2018 sogar den Milestone.

Neben seinem Engagement für den Nachwuchs, führt er selbst 2 Restaurants in Interlaken, ist für viele Caterings engagiert, macht TV Shows für Pro Sieben und Sat 1 und in seiner Freizeit bekocht er in den Bergen und Alphütten rund um Zermatt Gäste und geniesst auch dabei nicht den Luxusstatus eines Stars, der hochgeflogen wird. Nein, er beweist auch da Fleiss und liess sich selbst zum Helipiloten ausbilden. Somit werden die Gäste nicht nur von René in alpinen Verhältnissen bekocht, sondern er fliegt sie auch selbst hoch. Und da funkeln seine Augen beim Erzählen.
René ist einer, der mit Feuer kocht, der Feuer entfacht in der Natur, doch auch das Feuer bei seinen Gästen, seinen Mitarbeitern und „seinem“ Nachwuchs täglich neu entfachen kann. Und schon vor 1000 Jahren konnten nur die „Fleissigen“ Feuer machen. Und genau so einer ist Schudel. Er ist kein Blender, der angeben will. Er ist ein fleissiger Macher, der aber damit ganz viel echten Schein und Prunk erzeugt – bodenständig und ehrlich.

 

FB: Du machst das Greenfield Projekt mit Lernenden. Wie ist es dazu gekommen?

https://www.hotelgastrounion.ch/de/hgu/lernende/lernenden-projekt-greenfield-2020/ /www.greenfieldfestival.ch

RS: Nachdem das Greenfield vor 6 Jahren neu ausgeschrieben wurde fand ich das eine coole Idee und ich habe das zuerst alleine mit Lernenden gemacht. Man konnte sich darauf bewerben, 5 Tage mit mir da am Festival unter einfachsten Bedingungen zu kochen. Das Ziel war „Raus aus der Komfortzone“

FB: Wie bist Du auf die Idee gekommen, das mit Jugendlichen zu machen?

RS: Ich dachte, man müsse denen eine andere Perspektive geben vom Kochen, ihnen zeigen, dass die ganze Idee nicht auf Technik und Logistik basiert.

FB: Warst Du immer Koch resp. was waren Deine Stationen. Wo hast Du Deinen Durchbruch erreicht fürs Fernsehen?

RS:Nach meiner Lehre im Victoria Jungfrau habe ich Militär absolviert, stets auf dem Beruf gearbeitet, zwischendurch mal noch etwas gekellnert, doch immer in der Gastronomie. Bis ich dann im Hotel Eden in Arosa war und es von dort an dann seinen Lauf genommen hat. Dort habe ich meinen Produzenten kennen gelernt. Den Durchbruch meiner Karriere habe ich diesem Zufall zu verdanken (lacht). Ich war einfach zur falschen Zeit am falschen Ort – oder eben zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Wir haben dort in Arosa begonnen, kleine Videos zu drehen. Diese scheinen den Menschen gefallen zu haben.

«Machen ist wichtig, nur im machen kann etwas entstehen»
Rene Schudel

 

FB: Was hat bei dir das Feuer entfacht fürs Kochen?

RS: Nähe zum Produkt. Man kann mit wenig und überall auf der Welt Menschen berühren. Man kann auf einem Grillplatz, in einem Ferienhaus, im Camper, in einer Küche ohne grossen Aufwand Menschen berühren.

FB: Hattest Du selbst die Idee Koch zu lernen? Oder hattest Du einen Mentor, der dich da hinein geschubst hatte?

RS: Nein, ich dachte einfach, ich mache es mal. Ich hatte nie den Hintergedanken, das so zu machen, wie ich es heute mache. Ich wollte einfach eine Lehre machen. Machen ist wichtig. Nur im Machen kann etwas entstehen.

FB: Wie bist Du immer wieder kreativ?

RS: Kreativität passiert einfach. Die kannst Du nicht pushen oder suchen. Die Kreativität musst Du in Dir selbst entdecken und mit der Erfahrung und dem Machen kannst Du unterstützen und mithelfen, die Kreativität zu fördern. Die Erfahrung macht Dich stärker.

FB: Hast Du noch weitere Ziele im Leben?

RS: Nein, eigentlich nicht. Es ist alles gut so wie es ist. Ich lebe und mache von Tag zu Tag und die Dinge entstehen in der Bewegung. Ich glaube, zufrieden zu sein ist das wichtigste.

«Was man macht soll verständlich, transparent und ehrlich sein, nur so kann es berühren»
Rene Schudel

 

FB: Bist Du ein Perfektionist?

RS: Nein, ich glaube nicht direkt. Ich würde mich auch nicht als besonders talentiert betiteln. Ich mache alles mit Fleiss wett. Ich bin nicht Perfektionist, sondern fleissig.

FB: Wo siehst Du die Herausforderungen in der Gastronomie?

RS: Das Tempo ist eine grosse Herausforderung. Die Entwicklungen, die Veränderungen, die Anforderungen an uns.

FB: Was würdest Du einem jungen Koch für Tipps geben?

RS: Den Fokus nicht auf Ausdruck, das grosse „Bling-Bling“ und gutes Aussehen setzen, sondern auf Verständnis und Inhalt. Das bedeutet, dass was man macht verständlich und transparent ist, ehrlich ist. Nur so kann es berühren.

 

…. und mit diesen Worten hat sich René ganz gut wiedergegeben. Der Mensch der lieber macht, als darüber zu sprechen. Was er macht soll verständlich und ehrlich sein. Und vor allem möchte er andere Menschen mit seinem Tun begeistern. Er setzt sich immer wieder in Szene, um damit andere in Szene zu setzen.

Und als ich mit ihm noch über Vorbilder sprach kann man sich jetzt auch vorstellen, was er dazu sagte:“ Sicher habe ich Vorbilder, immer wieder. Man muss sich auch immer wieder orientieren. Doch die Vorbilder können auch jünger sein als ich. Von allen kann man lernen. Doch das Wichtigste ist, dass man immer wieder seine eigene Identität findet und damit lebt, berührt und macht. Und genau dies schafft Einzigartigkeit.

Kochen ist für mich wie das Lied «Bohemian Rhapsody» von Queen

Kochen ist für mich wie das Lied «Bohemian Rhapsody» von Queen


»Marcel Blättler sitzt mit zwei Gästen am Stammtisch im Garten und wartet auf mich. Er begrüsst mich mit einem lachenden «salve» und offeriert mir einen neuen Drink, den «ville des arts». Dieser Name wurde gewählt, da Waldenburg momentan Ausstellungsort eines Statuenkünstlers ist. Er erzählt mir vom sogenannten Honigwein und auch der Idee des Künstlers und dabei leuchten seine Augen. Schnell spüre ich, wie viel Leidenschaft er in seinen Beruf steckt. Manchmal ist seine Art zu erzählen schon fast melancholisch, aber immer mit einer grossen Prise Humor zwischen den Zeilen. Marcel ist ein» Macher», am liebsten jedoch immer etwas anders als der Mainstream.

«Anders» zeichnet Marcel aus. Dies zeigt auch seine Wahl, nach der Lehre im Restaurant Blaser in Welschenrohr zum bekannten Fernsehkoch Chrüter Oski nach Münchenbuchsee zu gehen. Ein nicht alltäglicher Ort, doch wahrscheinlich widerspiegelt sich das Gelernte beim etwas ausgeflippten Entlebuecher bis heute täglich in seiner Küche.

Marcel Blättler ist nach ein paar Stationen als Küchenchef zurück in den elterlichen Betrieb gekommen, in den «Leue Waldenburg», und führt diesen mit seiner Frau Sabine seit 2002. 13 Jahre war er im Vorstand von GastroBaselland, zudem einige Jahre Vizepräsident.

Marcel hat viele Geschichten zu erzählen:

FB: Warum hast Du Koch gelernt?

MB: Ja, einerseits wegen den Eltern, da ja ein Restaurant da war. Denn zuerst wollte ich Pfarrer werden.
Ja wirklich – katholischer Pfarrer? Ich war Altardiener und bin regelmässig in die Kirche gegangen. Dies aber freiwillig.

FB: Was hat dich denn zu diesem Glauben geführt?

MB: Ja, ich hatte durch eine Lese- und Schreibschwäche nicht eine einfache Schulzeit. Zu dieser Zeit sagte man ja oft «Gott straft sofort» und ich suggerierte dies mit meiner Schwäche, da wir zu wenig beteten. Doch ich merkte dann, dass es mit dem Rosenkranzbeten leider nichts ändert (lacht). Spätestens als mein Hund trotz Rosenkranz gestorben ist (lacht nochmals).

FB: Hat dich dies geprägt?

MB: Ja, ich habe gelernt, dass man auch mal zweifeln darf. Weil man Angst vor dem Zweifel hat traut man sich nicht zu hinterfragen. Erst wenn man traut zu zweifeln kann man sich von einer Sache lösen. 

FB: Hat es Parallelen zwischen Gastronomen und Pfarrern?

MB: Ja. Als Gastronom hört man viele Geschichten. Manchmal ist man auch Seelsorger. Man hört den Gästen viel zu – fast schon wie ein Psychiater – ausser, dass man halt weniger Geld dafür erhält (lacht).

FB: Warum hast du dich dann für den Beruf «Koch» entschieden?

MB: Hauptgrund war der tolle Betrieb meiner Eltern. Ich wollte diesen weiterführen. Und ich habe immer schon gerne experimentiert. Und ich dachte, wenn man selbständig ist, kann man immer wieder Neues ausprobieren. Man ist kreativ.

FB: Ist denn Koch sein ein kreativer Beruf?

MB: Ja das kommt darauf an, wie man es auslegt. Es kann ja auch total öde sein, wenn man immer das Gleiche macht.

FB: Was ist denn „kreativ“? Kann man Kreativität lernen?

MB: Kreativ sein ist eigentlich schon «das Machen». Auch kopieren kann kreativ sein. Ich sage oft zu meinen Lernenden, sie sollen ein Buch aufschlagen und dieses Rezept kochen. Und schon seid ihr kreativ. Wenn man nichts tut ist man auch nicht kreativ.

Die Jungen möchten oft wegen der Kreativität den Beruf wählen. Doch wenn man Kreativität fordert, wissen sie oft nicht, wie oder was sie tun sollen. Doch eigentlich kann man auch kreativ sein, wenn man im Internet nach Rezepten sucht und diese umsetzt. Ganz simple. Ein Künstler, der etwas kopiert, ist ja genau so ein Künstler. Man muss ja zuerst auf die Idee kommen, etwa zu kopieren oder ein Rezept zu suchen.

«Wenn man einen Weg hart erarbeiten muss, gibt man dann eben auch nicht so schnell auf»
Marcel Blättler

 

FB: Lernen die Jungen somit den Beruf wegen der Kreativität?

MB: Ja, das ist das Hauptargument. Doch das Lustige ist, dass genau die Kreativität ihnen dann oftmals fehlt.
Ich bin der Meinung, Kreativität kann jeder lernen. Kreativität beginnt mit dem Tun. Doch es braucht Mut. Viele sind gehemmt, Dinge auszuprobieren.
Ein Künstler hat den Vorteil, dass es ihm einfach von der Hand geht. Doch umso mehr wir tun, umso kreativer werden wir.

FB: Wie viel ist es denn Handwerk?

MB: Es ist wie bei einem Instrument. Zuerst muss ich Klavierspielen können, um danach ein Stück zu komponieren.
Die eigenen Stücke bastelt man auch aus Bestehendem zusammen. Beim Kochen lernt man zuerst das Handwerk, danach wird man kreativ. Obwohl man beim Kochen schon ab der ersten Sekunde kreativ sein kann. Wenn man die Zutaten hat, kann man einen Salat verändern.
Das sieht man in der Spitzengastronomie. Dort wird ein normaler Nüsslisalat mit Speck und Ei auf einem anderen Level gemacht. Vielleicht wird anstelle einem normalen Ei ein Wachtelei genommen, mit einer genialen Sauce, die Croutons speziell gewürzt – somit wird das Handwerk verändert.

FB: Was motiviert dich täglich von Neuem?

MB: Mich motiviert die Kreativität. Alles, was man schon kennt, ist für mich etwas langweilig. Was man noch nie gemacht hat ist spannend, wenn man selbst etwas erfahren kann, z.B. Bierbrauen. Schon viele haben es gemacht, doch selbst die Erfahrung zu machen ist sehr befriedigend.
Die Molekularküche z.B. hat mich sehr viel gelehrt über die Vorgänge und warum Gewisses ist, wie es ist oder man es so gelernt hat.

FB: Du brauchst das Neue?

MB: Ja sonst wäre es mir langweilig. Wenn es mich interessiert kann ich bis in alle Nächte arbeiten und tüfteln. Durch meine Legasthenie muss ich Dinge mehrmals probieren. Ich kann es nicht so gut behalten wie andere.  Doch wenn ich es dann kann sitzt es umso mehr.

FB: Dann würde es bedeuten, dass Kochen zum Handwerk wird je höher das Niveau ist?

MB: Ja, könnte man so sagen. Ein Patissier z.B. hat eine Idee, kreiert etwas. Wenn es dann funktioniert muss er es perfektionieren und üben, üben, üben. Dies ist reines Handwerk. Oder wenn ich sehe, in welch hoher Kunst an den Kochwettbewerben gearbeitet wird. Da muss zu Beginn die Idee da sein und danach kommt das reine Handwerkt, wo 1000 Mal probiert wird und man das Gleiche wiederholt, damit ein Teller dann so aussieht, wie man es sich vorstellt. Dies braucht Perfektionismus.
Das Handwerk selbst hat dann nichts mehr mit Kreativität zu tun.

FB: Bist du ein Perfektionist?

MB: Nein. Ich würde mich nicht als Perfektionisten bezeichnen. Ich probiere, bis es für mich passt. Doch die Stufe der Perfektion brauche ich meistens nicht. Es muss für mich cool und fein sein. Es muss nicht jeder Teller genau gleicht sein. Ich bin kein Pinzettenkoch.

FB: Was ist für dich das Schönste am Beruf?

MB: Man sieht überall hinein, kommt mit vielen Leuten in Kontakt und sieht verschiedene Berufe. Man kann Ideen umsetzen.
Und ich selbst habe ein tolles Umfeld, welches meine Ideen mitträgt.

FB: Bist du mehr Unternehmer oder mehr Koch?

MB: Unternehmer ist man ja, wenn man ein eigenes Geschäft hat. Die Frage ist, ob man erfolgreich ist. Ohne meine Frau wäre ich nicht erfolgreich, denn es braucht auch noch Menschen, die schauen, dass Geld verdient wird (lacht). Es geht nicht immer nur um neue Ideen. Vielleicht bin ich schon eher der Koch oder der kreative Kopf. Vieles entsteht ja aus einer neuen Idee und manchmal schlägt es sich wirtschaftlich erst später nieder. Ich habe bei meiner Arbeit nicht das Geld verdienen im ersten Fokus. Ich möchte primär aus Spass arbeiten und dadurch kann es sich dann auch wirtschaftlich niederschlagen.

FB: Was ist Dir wichtig an Deinem Beruf?

MB: Dass man regional arbeitet und auf die Leute resp. das andere Gewerbe im Dorf oder die Region acht gibt.

FB: Gab es schwere Zeiten? Was hat dich geprägt?

BM: Wahrscheinlich war es prägend, dass wir früh Familie hatten und mit kleinen Löhnen leben mussten. Dann prägen einen die verschiedenen Stationen und Menschen, die man trifft. Ich versuchte, meine eigene Essenz zu finden aus den Erfahrungen. Für mich sehr eindrücklich war zu sehen, wie talentierte Köche, sogenannte Künstler, am Perfektionismus gescheitert sind oder eben am einfachen «Wurstsalat». Da sie gekränkt waren, wenn man bei ihnen einen Wurstsalat bestellte. Den grossen Künstler fehlt oft die Kompromissbereitschaft. Sie sehen dann nur noch den Perfektionismus und sich selbst und können es nicht ins Umfeld einbeziehen. Dies finde ich schade. So sind schon viele gute Menschen gescheitert. 

FB: Somit sind sie nicht am Können, sondern am Charakter gescheitert?

MB: Genau. Und dies probiere ich mir selbst auch immer wieder ins Bewusstsein zu bringen, wenn ich mal länger und vertieft an etwas bin. Das Umfeld darf oder sollte nicht zu lange leiden. Es muss eine Balance da sein, gerade wenn man ja nicht nur Koch sondern auch Unternehmer und Familienvater ist.

FB: Was kommt Dir in den Sinn zu Corona?

MB: Corona gleich Ungewissheit. Schwer war nicht zu wissen, wie es weitergeht. Als Chance für mich habe ich es nicht angeschaut, da ich ja stetig daran bin Neues auszuprobieren. Und wir hinterfragen uns auch immer wieder. Aber ich hatte Zeit, um den Keller zu räumen oder Wände zu streichen.

Wir habe auch gemerkt, dass Take Away nicht unsere Welt ist. Diese Serienarbeit war nicht unser Business. Wir brauchen immer wieder das Spezielle und den Kontakt zum Gast. Wir möchten Gastgeber sein.

FB: Bist du manchmal arbeitsmüde?

MB: Nein, eigentlich nicht. Wenn ich Spass habe, arbeite ich gerne und setze mich auch gerne für etwas ein.

 

Und mit diesen Worten beenden wir dann auch unser Gespräch. Ein Gespräch, welches geprägt war von Tiefgründigkeit und viel Humor und Sarkasmus. Dies widerspiegelt auch ganz gut die Person Marcel Blättler. Er möchte mit seinem Tun Menschen begeistern, einen Mehrwert in die Welt setzten. Und trotz vielen träumerischen und künstlerischen Ansätzen bleibt er ein Realist und ist sich seinen Verantwortungen bewusst. Das zeigt sich in der Aussage, dass es für Ihn trotz funktionierendem Team und Routine sehr wichtig ist, präsent zu sein und er seine Mitarbeiter gerne auch immer wieder kontrolliert. Er weiss, Routine kann auch faul machen und da ist es wichtig, gerade Routinearbeit immer mal wieder bewusst zu hinterfragen. Sein Schaffen ist wie eine grosse Musikkomposition. Es hat ruhige Phasen, hohe, tiefe und feine Töne, langsame und schnelle Takte. Manchmal auch Töne, die schrill klingen, ein Wechselspiel aus Emotion und Perfektion. Doch alles passt irgendwie zusammen und hat immer einen Flow wie ein roter Faden durch die Komposition. Und darum ist es auch nicht erstaunlich, dass er selbst das Kochen mit dem Lied Bohemian Rhapsody von Queen vergleichen würde.